Liebe Lovebirds,

ich geb’s zu: der Roman Der Herzensheiler hat bei mir sowieso einen riesen Pluspunkt. Warum? Weil die Heldin wie ich heißt: Julia! Und sie die Liebe liebt, wie ich. Was sie so treibt? Sie ist Bestsellerautorin und auf der Recherche nach neuem Stoff für ihr nächstes Buch. Sie fliegt nach New York, geht in eine Bibliothek, wo ihr ein sonderbarer Roman in die Hände fällt, der wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint … Der Herzensheiler wird uns hier noch oft begegnen. Unter uns: Er ist meine Bibel in Sachen Liebe. Mein romantisches Manifest. Lest selbst den Anfang.

Ich bin gespannt, was ihr dazu sagt.

Lasst uns gemeinsam glückwärts gehen.

Eure Julia

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Alle Bibliotheken gleichen einander. Wo auch immer man sich auf der Welt befindet, sie sind alle erfüllt vom Duft nach Papier und Leder, und von Stille, ja mehr noch, tiefster Ruhe. Lesende Menschen sind friedlich. Mit einem Buch ist man niemals allein. Und jetzt, hier in der Henry Ernest Adam Library mitten in New York, in dieser Stadt, in der sich Julia zunächst wie der Inbegriff einer Fremden vorkam, fühlte sie sich auf einmal ganz wie zuhause. Was sicher auch daran lag, dass sie auf den Buchrücken ihres Debütromans starrte. Das ist alles so verrückt, dachte sie. Ihr Werk stand neben Truman Capote. Neben Truman Capote dem weltberühmten Schriftsteller, dem Bestsellerautor. Vielleicht lag es aber auch einfach an der alphabetischen Ordnung der Bücher, denn Julias Nachname begann ebenfalls mit einem – C -. Irgendwie kam Julia all dies völlig surreal vor. Sie hatte ihr Buch wie im Rausch geschrieben, es war ihr vollkommen leicht von der Hand gegangen, als hätte ihr eine innere Stimme den Inhalt eingeflüstert.
Schon nach drei Monaten war das Manuskript fertig gewesen.

Julia hatte es auf gut Glück an ein paar Verlage geschickt und – welch Wunder – einer der besten biss an. Was folgte, war klassisch: Lektorat, Veröffentlichung, Buchbesprechungen im Feuilleton wichtiger Zeitungen, Buchmesse, Bestsellerliste. Und als wäre das noch nicht genug, wurde der Roman ins Englische übersetzt, in den USA beim höchst renommierten New Yorker Haus The Deep Turn Publishing verlegt und sogar in der N.Y. Book Review besprochen. Schwups, wieder Bestsellerliste. Julia konnte kaum glauben, was da geschah. Wem bitte passierte heute noch so etwas, in einer Zeit, da es den Verlagen nicht gerade gut ging und kaum noch Bücher von unbekannten Autoren verlegt wurden? Eben. Sie hatte mit Absagen gerechnet, aber niemals mit einem solchen, sich fast von selbst einstellendem Erfolg. Und das Verrückteste daran war, dass das Schreiben dieses Buches für sie die reinste Therapie dargestellt hatte. Selbst wenn es niemals publiziert worden wäre, sie hätte es ohnehin schreiben müssen – für sich. Denn sie hatte wegen diesem Mann, in den sie sich verliebt hatte, und der ihr den Himmel auf Erden versprochen, sie aber dann in die Hölle auf Erden gelotst hatte, fast den Verstand verloren.

Irgendwann hatte sich nicht mal mehr ihre beste Freundin ihren Kummer anhören können. Irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, da alle dachten, sie müsse jetzt »ja schon langsam wirklich darüber hinweg sein«. Indes, sie war es einfach nicht. Und so hatte sie sich an einem lauen Frühsommerabend hingesetzt, ihren Laptop aufgeklappt und begonnen, diese Geschichte aufzuschreiben. Sie hatte die ganze Nacht durchgetippt, war schließlich bei Morgengrauen ins Bett gekrochen, konnte aber doch nicht schlafen, da die Sätze in ihrem Kopf nur so einschlugen wie Blitze, und sie alles, was in ihrem Herzen war, auf einmal zu Papier bringen musste. Es
drängte sie, und nach drei Monaten, der Sommer war inzwischen vorbei, war das Manuskript fertig gewesen. Weitere drei Monate später hatte sie den Vertrag unterzeichnet; und weil ein anderer Autor sein Werk nicht abgeliefert hatte, konnte ihr Buch noch im darauffolgenden Frühjahr erscheinen, die Übersetzung folgte ein halbes Jahr später. Alles war schnell gegangen und aus nichts als ihrem Liebeskummer geboren. Ja, The Great J, wie das Buch hier in Amerika hieß, war pure Traumaverarbeitung. Und ich kann jetzt gut davon leben, ist das nicht blanke Ironie, dachte Julia, während sie mit ihrer linken Hand zärtlich über das Cover strich, auf dem sich nur ein großes – J – befand. Und darüber prangte ihr Name, der ebenfalls mit einem »J« begann. Sie war nun seit einer Woche in New York und hatte langsam ihren Jetlag überwunden. Ob ihr diese Stadt, in der sie zum ersten Mal weilte und die sie nur aus Filmen und Serien kannte, gefiel oder nicht, konnte sie noch nicht sagen. Der Inhaber von The Deep Turn Publishing, der, in Amerika geboren, aber hauptsächlich in Deutschland lebend, auch die deutsche Dependance leitete, hatte sie für drei Monate hierher eingeladen. Er war so begeistert von »The Great J« gewesen, dass er das Nachfolgewerk unbedingt in New York spielen lassen wollte – »der Zielgruppe wegen«, wie er betonte. New York zog wohl immer. Er bezahlte nicht nur ihre Flüge, sondern auch ein Apartment, das dem Verlag gehörte, unweit vom Times Square. Auch das fand Julia völlig unwirklich. Sie kam sich vor wie in einem Film. Und doch war alles real. So wie ihr Buch in dieser Bibliothek neben Truman Capote. Sie schaute sich im Raum um. Studenten saßen vor Büchern, die typisch grünen Lampen warfen einen angenehmen Schein auf die aufgeschlagenen Blätter.

Worüber sollte sie als nächstes schreiben? Zugegeben, sie hatte keine Ahnung. Nur eines wusste sie gewiss: Sie würde sich nie  wieder das Herz brechen lassen – nicht einmal für einen Bestseller. In ein paar Tagen würde sie mit dem wichtigsten Literarturkritiker der N.Y. Book Review zu Abend essen. Sie hatte keine sonderlich große Lust darauf, wusste aber, dass der Termin wichtig war.
Immerhin hatte er sie als geistige Schwester F. Scott Fitzgeralds bezeichnet. Er würde sie sicher fragen, was sie als Nächstes plante und sie konnte ja schlecht »nichts« sagen. Auch ihr Gönner und Verleger, Dr. Peare, lag ihr damit in den Ohren. Sie mochte ihn und war ihm dankbar – immerhin hatte er ihrem Debut mit seinem verlegerischen Knowhow zu diesem fulminanten Erfolg verholfen. Sie konnte ihn aber dennoch nicht einschätzen. Er wirkte auf sie wie ein aus der Zeit gefallener Intellektueller – und sie fragte sich, ob er diese Rolle für den Literaturbetrieb nur in Perfektion spielte, oder ob er tatsächlich so war. Sie hatte ihn erst zweimal persönlich
getroffen. Das erste Mal, als sie in München den Vertrag unterschrieb. Das zweite Mal auf der Frankfurter Buchmesse, als sie Ehrengast beim alljährlichen Verleger, Herausgeber-, Lektoren-, Autoren-, Illustratoren-, Literaturagenten-, Buchkritiker- und Buchhändlertreffen von The Deep Turn Publishing im Frankfurter Hof war. An diesem Abend hatte sie mit den bekanntesten Figuren der Buchszene geredet. Das war auch wie im Film, dachte sie, als sie sich daran erinnerte. Auf einmal war sie mittendrin,
vielleicht sogar mehr als das: Sie war ganz vorne mit dabei. Sie, die 29jährige Jungautorin, war der neue Star am Literaturhimmel. Wollte sie das überhaupt? Sie spürte den Druck der hohen Erwartungen, der auf ihrem Folgewerk schon jetzt lastete.

Schreiben Sie doch wieder über die Liebe, hatte Dr. Peare ihr geraten. Ja, die Liebe, dachte Julia. Als ob es dazu nicht schon genügend Bücher gäbe … aber nun war sie hier und hoffte auf jene Inspiration durch die Stadt, von der Heldinnen wie Carrie
Bradshaw immer so schwärmten. Sang nicht auch Alicia Keys »big lights will inspire you«? Bislang jedenfalls war Julia noch kein Licht aufgegangen. Sie stöberte durch die Bibliothek und lies sich treiben. Bücher hatten auf sie immer schon eine magische Wirkung gehabt. Deswegen war sie eine der wenigen, die tatsächlich noch in klassischen Buchhandlungen einkaufte. Sie ging dann, so wie jetzt, an all den Regalen vorbei, lies ihre Finger über die Buchrücken gleiten und wartete auf den Moment, der sie – warum auch immer – innehalten lies. Bücher hatten ihr eigenes Leben, ihren eigenen Charakter. Und manchmal war es zwischen Mensch und Buch eben Liebe auf den ersten Blick. Leise ging sie durch den Saal, kam in die Abteilung der fremdsprachigen Bücher, ging vorbei an italienischen, spanischen, russischen und französischen Büchern hin in eine Ecke, in der sie ganz allein war – mit deutschsprachigen Werkausgaben. Sie stieg auf die Leiter, damit sie die oberen Bücher erreichen konnte. Und dann, als sie wieder die Buchrücken streichelte und einen Einband berührte, wusste sie es: Ein Buch hatte sie gefunden. Sie zog es aus dem Regal und las den Titel:

DER HERZENSHEILER

auch bibliographische Angaben vermisste sie. Es lag ungewohnt schwer in ihrer Hand. Auf dem Cover sah sie eine Aquarell- Landschaft, in welcher auf der rechten Seite schemenhaft eine männliche Gestalt mit Wanderstab zu erkennen war. Sie stieg die Leiter wieder herab, setzte sich auf einen der mit grünem Samt bezogenen Stühle und begann zu lesen.