Liebe Lovebirds,

Ihr wisst ja, der „Herzensheiler“ ist sozusagen die philosophisch-spirituelle Grundlage dieses Portals. Damit Ihr, wenn Ihr ihn noch nicht gelesen habt, noch ein bisschen mehr darüber erfahren könnt, habe ich hier für Euch einen besonders schönen Auszug gewählt.

Zum Verständnis: Anima, die weibliche Hauptfigur des Romans, wurde durch widrige Umstände von Animus, der männlichen getrennt. Sie findet sich völlig entkräftet in einem Kloster wieder. Die heiligen Frauen nehmen sie bei sich auf und die Hohemutter führt sie in die Geheimnisse der Welt hinter den Dingen ein. Ich wünsche Euch viel Spannung bei der hier von Anima geschilderten Begegnung mit der unsichtbaren Welt.

Eure Julia.


An einem Abend, als die Sonne gerade unterging, nahm sie mich mit zu einem Fluss. Sie hieß mich auf einen Stein zu setzen, sie selbst setzte sich mir gegenüber. Unsere Gedanken, sagte sie, sind nicht nur in unserem Geist. Wenn sie besonders stark, schön und voller Liebe sind, so können wir diese in Lichtwesen verwandeln, die uns schützen und begleiten. Diese Wesen sind überall, um uns herum. Du musst sie nur sehen können. Ich blickte um mich, nahm jedoch nichts Außerordentliches wahr. Dann beugte sich die Hohemutter zum Fluss hinab, schöpfte mit ihrer Hand Wasser und spritze es in die Luft. Inmitten all der Wassertropfen und des Sprühnebels sah ich nun viele kleine Wesen, sie schwirrten und flatterten mit kleinen Flügeln, Schmetterlingen gleich, durch die Luft. Dann verschwanden sie wieder. Was war das, fragte ich, ergriffen von diesem Anblick. Das, sagte die Hohemutter, ist die unsichtbare Welt hinter der sichtbaren. Nur wenige von uns haben Zugang zu ihr. Du, mit deiner Gabe der Liebe, bist eine davon. Nun lehre ich dich, das Unsichtbare sichtbar zu machen, das verborgene Wesen hinter den Dingen kennenzulernen und das Wesentliche zu erfahren. Die Worte der Hohemutter versetzten mich in Ehrfurcht. Um in diese Welt einzutreten, sagte sie nun, musst du einen Gedanken finden, der so stark, so kraftvoll, so schön und so voller Liebe ist, dass er dich aus tiefster Dunkelheit ins hellste Licht führt. Wähle diesen Gedanken sorgfältig und weise, überlege gut, bevor du ihn aussprichst. Animus, dachte ich. Wieder sprach die Hohemutter, dieser Gedanke ist dir ganz zu eigen, er kommt aus deinem Innersten, du trägst ihn längst in dir, er wartet nur darauf, dass du ihn in die Welt hinein hauchst, damit er selbst zum Leben erweckt wird.

   Es war nun schon dunkel und es wurde kälter. Die heutige Nacht werden wir schweigend unter freiem Himmel verbringen, sagte die Hohemutter.  Wenn du aufwachst, sagte sie, wirst du den Gedanken haben.

   Die Hohemutter fiel rasch in tiefen Schlaf. Sie fügte sich in das Bett der Natur so mühelos ein, ja es war, als sei die Wiese nur dafür gemacht worden, ihr eine Bettstatt zu sein. In ihrem prachtvollen Gewand fror sie nicht. Der Stoff war leicht und trotzdem dick. Ich jedoch war wach. Ich schaute in den Sternenhimmel und dachte nach. Welcher Gedanke wäre der richtige? Animus, dachte ich, immer wieder Animus. Dann fielen mir die Augen zu.

   Ich träumte von dir, Animus, wie du an einem Berggipfel auf mich wartetest. Du trugst königliches Gewand. Ich trug ein langes weißes Kleid. Dann merkte ich, dass es ein Brautkleid war. Langsam ging ich auf dich zu. Als ich vor dir stand, verbeugte ich mich vor dir. Du setztest mir eine Krone auf. Und als ich mich wiederaufrichtete und dich küsste, waren wir König und Königin. Wir waren Mann und Frau.

   Ich erwachte. Die Hohemutter stand am Fluss. Sie lächelte mir zu. Hast du deinen Gedanken, fragte sie mich. Ja, sagte ich. Gut, sagte sie. Trage diesen heute im Herzen. Am Abend lehre ich dich ein weiteres Geheimnis.

   Wir gingen zu den Schwestern zurück. Ich nahm am Ablauf des Tages teil, wusch das Geschirr, kümmerte mich um die Kräuter, betete. Und ich trug, wie mir geheißen, den Gedanken im Herzen, den ich zum Leben erwecken wollte. Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Denn ja, ich wusste, dass es der richtige Gedanke war.

   Kurz vor Sonnenuntergang begleite ich die Hohemutter erneut zum Fluss. Nun nenne mir deinen Gedanken, sprach sie und schloss die Augen. Mein Herz klopfte vor Aufregung. Ich sagte, du, Animus, bist mein König und du machst mich zu deiner Königin. Als ich diese Worte ausgesprochen hatte, öffnete die Hohemutter die Augen, die Luft zwischen uns fing an zu wirbeln und dann sah ich, wie im Dämmerlicht zwei Lichtwesen erschienen, die umeinander tanzten. Ich öffnete vor Erstaunen den Mund. Das, sagte die Hohemutter, ist dein heilsamer Gedanke. Es ist der Gedanke, der dich durch Angst, Leid und Dunkelheit trägt. Dies ist dein inneres Licht, das dich immer leitet. Und nun wirst du lernen, wie du diesen Gedanken selbst sichtbar machen kannst. Die Hohemutter machte eine Handbewegung, ganz so, als wolle sie etwas verscheuchen, und die Lichtwesen verschwanden. Nun würde meine nächste Lektion beginnen.

   Das Unsichtbare, sagte die Hohemutter, ist vielen fremd. Es gibt für sie nur das, was sie begreifen, also in ihre Hände nehmen können. Doch das ist ein Irrglaube. Was du fühlst, ist. Es ist die verborgene Wahrheit, die in allen Dingen schlummert. Der Schlüssel liegt in dir selbst, ja dein Herz ist der Schlüssel, mit dem du diese neue Welt öffnen kannst. Tue dies. Öffne sie. Trete ein. Und erkenne die Schönheit deiner, unser aller Geisteskraft. Sie hieß mich nun wieder in den Zustand der Versenkung zu gehen, den ich bereits bei der Schickung geübt hatte. Doch für die Sichtbarmachung, wie die Hohemutter es nannte, war noch weitaus größere Aufmerksamkeit nötig. Um meinen Herzenssatz nur mit Kraft meiner Gedanken zum Leben zu erwecken, musste ich mich selbst und meinen Körper loslassen. Ich musste erkennen, dass das Unsichtbare an mir das Wesentliche in mir war. Und indem ich gedanklich hinter mich selbst zurücktrat und das Gefühl hatte, mein Körper würde sich auflösen und in die Nacht hineinströmen wie ein Fluss ins weite Meer, sah ich die Lichtwesen wieder, die wie König und Königin miteinander tanzten. Und mehr noch, ich sah Tausende von Lichtwesen durch die Nacht umherschwirren. Ich sehe es, rief ich der Hohemutter zu, ich sehe es, ich kann alles erkennen. Die Hohemutter lächelte und kam näher auf mich zu. Ist es nicht schön, fragte sie mich.

   Später gingen wir am Fluss entlang. Dies, sagte sie und zeigte auf viele tanzende Lichtwesen, ist die Seele des Flusses. Er hört alles, was wir sagen, er spendet Leben, indem er uns zu trinken gibt. Und dies, wir gingen weiter, sie zeigte nun auf einen Baum, den ebenfalls viele Lichtwesen umgaben, ist das Herz des Baumes, der seit vielen hunderten von Generationen der Herr des Waldes ist. Dann kamen wir näher an unser Haus des Gebets, hier schwirrten mehr Lichtwesen als zuvor umher. Das, sagte die Hohemutter, sind all die liebenden Gedanken unserer Schwestern. Es sind die Gedanken, die wir im Gebet formulieren und die hinab in die Welt steigen, um dort Licht zu spenden in der Dunkelheit, um Hoffnung zu geben, wo keine ist. Da sah ich, wie sich immer wieder vereinzelte Lichtwesen aus dem Schwarm lösten und sanft und leise hinwegflogen, hinab ins Land, das von hier oben so weit weg zu sein schien.

   Die Hohemutter nahm mich an die Hand. Ihre Finger waren warm. Lass uns nun deinen Herzensgedanken segnen, auf dass er deinen Geliebten finden, beschützen und zu dir führen möge, sagte sie. Wir gingen in den Gebetsraum. Wir waren alleine, denn die Schwestern schliefen schon. Es war still in dieser Nacht, in der ich, so schien es mir, der Wahrheit des Lebens ins Auge geblickt habe. Die Hohemutter ging zum Altar, ich folgte ihr und wir beide knieten uns nieder. Mein Herzensgedanke flatterte immer noch um mich herum, wie ein kleines Vögelchen, dessen Federn aus nichts als Licht bestanden. Wir falteten unsere Hände zum Gebet und die Hohemutter sprach:

 

Große Göttin,
die du uns und die Welt, die Pflanzen und die Tiere,
den Himmel und die Erde beseelst,
geleite diesen Herzensgedanken durch Zeit und Raum.
Behüte und beschütze ihn und bringe ihn zu jenem,
dem er gewidmet ist.
Er soll ihm Kraft, Zuversicht und Liebe geben.
Er soll ihm den Weg weisen, denn er hat ihn verloren.
Er soll ihm Mut schenken, das zu tun, was er zu tun hat.
Er soll ihm das Licht sein, dessen er bedarf.

So möge es geschehen.

 

    Und als wir diese Worte dreimal gesprochen hatten, flog mein Herzensgedanke in den Nachthimmel hinweg, und ich wusste, er würde dich, Animus, erreichen.