Liebe Lovebirds,

sagt Euch der Name „Otto Mainzer“ etwas? Nein? Das ist schade, denn dieser Schriftsteller und Vordenker einer neuen Liebesordnung ist nahezu in Vergessenheit geraten. Zeit seines Lebens schrieb er als deutscher Emigrant in Paris und New York gegen das Unrecht an, durch das Eros seit Jahrtausenden betrogen und die Liebe zur Ware wurde. Seine Gesellschaftskritik, die er in den 1930 Jahren des vergangenen Jahrtausends erhob, kann durchaus als Vorläufer der Emanzipationsbewegung gesehen werden. Die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Dr. Daniela Otto hat sich seiner Werke angenommen und stellt sie uns in folgendem Beitrag vor. Ich hoffe, dass Otto Mainzer eines Tages die Geltung und Würdigung erfährt, die er verdient.

 

Eure Julia.


 

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Otto Mainzer – Der verkannte Visionär

Worte sind Waffen. Und Buchtitel? Können uns erschlagen wie Bomben. Immer dann, wenn sie zu lang, zu sperrig, zu unzugänglich sind. Otto Mainzers geniales „erotisches Manifest“, Die Sexuelle Zwangswirtschaft, mag genau an dieser Schwere gescheitert sein – der Inhalt ist aber brisanter denn je. So auch der seines großen Romans Prometheus.

 

Feuchtgebiete. Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Titel entscheiden über Leben – nämlich das Leben der Bücher selbst. Ein erfolgreiches Buch zu schreiben ist vor allem heute, da die Aufmerksamkeitsspanne der digital natives nur noch bei wenigen Sekunden liegt, unwahrscheinlicher denn je. Unmöglich ist es aber nicht. Die oben zitierten Werke kennt wohl jeder. Sie alle waren ein großer Erfolg. Was nicht zuletzt, sondern vielmehr allem voran, am aufmerksamkeitsstarken Titel liegt.

 

Die Folgen der Digitalisierung machen sich auch auf dem Buchmarkt bemerkbar und man muss sich bei der Suche nach dem richtigen Buchtitel eine Frage stellen: Wäre dieser eine Headline im Internet, würden wir sie anklicken? Diese Frage ist schrecklich. Denn Bücher sollten durch ihre wundervollen, klugen Inhalte getragen werden, der Titel sollte idealerweise völlig in den Hintergrund treten (so wie der Autor tot sein möge). Doch die Realität sieht anders aus: Wir klicken, was unsere niederen Instinkte anspricht. Zumindest die Masse tut dies – und ein  Bestseller ohne Masse existiert per se nicht.

 

Otto Mainzers Die Sexuelle Zwangswirtschaft entstand gewiss lange vor dem Internet. Es ist ein Werk, so klug, so radikal, so visionär, dass es längst weltbekannt sein müsste. Doch Otto Mainzer, der 1903 geboren wurde und als Jude während des Weltkrieges ins Exil fliehen musste, ist bis heute verkannt. Die Tragik seines Oeuvres ist kaum zu überbieten: Lange fand er für seine Schriften keinen Verleger, trotz Fürsprache von literarischen Größen wie Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger. Erst in den 1980er Jahren wurde Die Sexuelle Zwangswirtschaft publiziert. Doch immer noch hat Mainzers lodernde Glut nicht wirklich Feuer gefangen. Das ist schade, denn Mainzers Gedanken, sein scharfgeistiger Kampf für die freie Liebe, sind heute wichtiger denn je. Wie also könnte man dieses wertvolle Gedankengut unter die Menschen bringen? Genau. Mit einem neuen Titel.

 

Denn seien wir ehrlich: Die Sexuelle Zwangswirtschaft, das klingt nach Straf- und Arbeitslager, nach Tristesse und Verboten. Man assoziiert damit Dunkelheit und Kälte. Mainzer aber tritt für das Schönste überhaupt ein, die Liebe in ihrer freisten Form. Konnotieren wir also um und stellen wir uns vor, das Werk hieße

LIEBE MACHT, WAS LIEBE WILL. WIE WIR IN UNSEREN BEZIEHUNGEN FREI SEIN KÖNNEN.        Wonach klänge das? Nach Leichtigkeit? Fröhlichkeit? Oder stellen wir uns vor, das Buch trüge den Titel

SO NOT SORRY. WARUM FREIE LIEBE SICH NIEMALS ENTSCHUDLIGEN MUSS.

Oder:

LIEBE DEINE FREIHEIT UND ES IST EGAL, WENN DU NICHT HEIRATEST.

Vermutlich hätte das Buch dann ganz andere Chancen, die Leserherzen zu gewinnen. Denn unter solchen Titeln klängen Mainzers Thesen weniger schwer, weniger theoretisch, sondern zeitgemäß, mehr nach Lifestyle. Und ein Leben im Stil von Mainzer zu führen, oder zumindest von der Existenz seiner Thesen zu wissen, würde unserer Gesellschaft, die in Tinder die Freiheit sucht und doch kläglich daran scheitert, gewiss nicht schaden.

 

Was aber sagt Mainzer eigentlich? Vor allem eines: Dass die Liebe zugrunde gehen muss, wenn sie von Abhängigkeiten geprägt ist. Er meint damit die klassische Versorgungsehe. Eine Frau, die einen Mann heiratet und sich dann auf die Kinder fokussiert und damit ihren Job aufgibt, ist wirtschaftlich von ihm abhängig. „Wo das Weib nicht selbstständig erwerben kann, wird es Gegenstand des männlichen Erwerbs“, heißt es bei Mainzer. Es entsteht ein Teufelskreis, eine brutale Form der Prostitution: das Geschlecht der Frau erhalte durch die berufliche Benachteiligung einen „Kapitalwert“, der Mann sei auf ewig der Ernährer und fungiere im System der sexuellen Zwangswirtschaft als Käufer. Im Sinne Mainzers ist so jedoch keine Erlösung möglich, für die er zugleich leidenschaftlich plädiert: insbesondere im Hinblick auf die Selbstbefreiung, bei der alles beginnt. 

 

Nun haben es Sachbücher ja ohnehin schwerer als die Belletristik und so mag es verwundern, dass auch Mainzers Roman, Prometheus, der alle seine theoretischen Thesen beinhaltet, ebenfalls zu Unrecht weitestgehend unbekannt ist. Immerhin kann es hier weniger am Titel liegen, denn der Mythos des Titanen Prometheus, den Zeus so qualvoll foltern ließ, indem er ihm täglich die Leber von einem Adler auspicken ließ, hat eine buchstäblich brutale Strahlkraft. Der Name hallt dramatisch nach und lässt uns erschaudern – ja, mit Prometheus, der uns Menschen das Feuer brachte, hätte ein lodernder Bestseller glücken können. Worum geht es?

 

Natürlich um die Liebe! Protagonist ist der Psychoanalytiker Peter Brand, ein alter ego Mainzers. Er ist Arzt und Dichter und jeder, der eine Seele für die Poesie hat, weiß, dass ein Arzt durch Literatur zu einem besseren Arzt wird, ja dass Dichtung und Heilung von Anfang an untrennbar verbunden sind, sich bedingen, so wie es Freud einst so treffend in seinem Diktum vom „Heilen durch Erzählen“ auf den Punkt gebracht hat. Peter Brand also kuriert Menschen und arbeitet an einem Drama mit besagtem Titel Prometheus, das die Macht der freien Liebe bezeugen und verkünden soll. All dies spielt vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und Brand, der wie Mainzer Jude ist, muss ins Pariser Exil fliehen. Es wird sein Manuskript verlieren, seinen Beruf – nicht aber seinen Glauben an eine Sinnlichkeit jenseits bürgerlicher Konventionen. Mainzer lässt seinen Helden so tapfer an seine Ideologie glauben, dass man es fast romantisch nennen könnte. Überall lockt die Versorgungsehe und die Frauenfiguren, so viel sei verraten, schaffen es nicht immer, ihr zu widerstehen. So wie Brand die Gesellschaft beobachtet und sie in ihrer Widersprüchlichkeit entlarvt, erinnert es fast an die Figur des Schelms. Doch natürlich fehlt Prometheus für das Genre des Schelmenromans das entscheidende Element: die Leichtigkeit. Denn Mainzer vergönnt seinem Helden kein Happy End. Der Roman endet mit einem Brief, in dem Brand schreibt, dass es für ihn kein Entkommen gibt. Nicht aus der geistigen Starre der Gesellschaft, nicht aus den Folgen des Krieges. Mainzer reflektiert die große Kraft des Schreibens einmal mehr, wenn es heißt: „Ich lese in meinem Manuskript […] und bin ganz ruhig.“ Und so mag es tröstlich sein, wenn man Brand und Mainzer gleichzusetzen wagt, dass auch Mainzer selbst Frieden bei dem Gedanken fand, dass seine Thesen alleine im Akt des Niederschreibens ihre Erfüllung fanden, auch wenn sie in der Wirklichkeit noch nicht verankert, gelebt, akzeptiert sind. Der Protagonist unterzeichnet sodann mit „Der Gefesselte“ – eine Mahnung an uns Lesenden, ja Lebenden, dass ein besseres Leben an uns vorbeirinnt, während wir, Prometheus gleich, in ewiger unfreier Qual leiden. •

 


 


Titelfoto: Otto Mainzer, ca. 1935, koloriert