von Annemarie Schoenle 


 

 

Liebe Lovebirds,

 

ein ganz spezieller Roman über drei Frauengenerationen hat die Bestsellerautorin Annemarie Schoenle publiziert. Das E-Book ist bei unserem Pairing Partner dotbooks erschienen. Zum Inhalt:

Drei Frauen, eine streitbare Journalistin, eine Lektorin und eine bildschöne Verkäuferin, wollen mit ihren vermeintlich so fortschrittlichen Geschlechtsgenossinnen, aber auch mit der selbstherrlichen Männerwelt abrechnen. Sie beschließen, einen Roman zu schreiben, eine Skandalbiographie, und ihn durch ein raffiniertes Marketingkonzept zum Bestseller der Saison zu machen. Der Plan gelingt, wenngleich anders als gedacht, denn die drei haben leichtsinnigerweise den Faktor „Männer“ außer Acht gelassen.

Ich denke, das ist ein Roman, den Ihr mit Freuden lesen werdet, denn er beinhaltet sehr viele Wahrheiten, zum Geschlechterverhältnis im Allgemeinen, aber auch zum Wesen von Frauen im Speziellen. Heitere und erkenntnisreiche Lesestunden wünscht Euch

Eure Julia.


 

Hier nun ein Auszug:

 

Sie hatte immer schon befürchtet, dass dieser beknackte Psychologe von der Zeitschrift »Die moderne Frau« recht hatte: Ihr Bett war eine Höhle, in der sie in embryonaler Haltung kauerte und darauf hoffte, dass der Tag sie mit seinen Misslichkeiten verschone. Was er natürlich nicht tat. Denn draußen auf dem Flur pfiff Henriette nach der siebzehnten Übung ihrer Wirbelsäulengymnastik aus dem letzten Loch – Anna konnte es einfach nicht mehr hören. Gestrecktes Becken, uahh, gewölbter Bauch, pffff, und Rumpf nach unten, Mist verdammter! Hinterher hatte man, so klagte Henriette, keine Rückenschmerzen mehr, sondern war ein Fall für die chirurgische Endlösung.

Dann das Kindergetrampel aus dem dritten Stock. Das konnte Anna auch nicht mehr hören. Es erinnerte sie daran, dass sie ihrer Lebensplanung weit hinterherhinkte.

Sie hatte als Abiturientin, also vor Äonen von Jahren, genau gezählt fünfzehn, beschlossen, Anglistik zu studieren, eine Verlagslehre zu machen, Lektorin zu werden und reihenweise Bestsellerautoren zu entdecken. Ihr erfolgreiches Wirken sollte ihr die Ehe mit einem Verleger bescheren, sie würde zwei Kinder kriegen, sich mit interessanten Menschen umgeben und einen schöngeistigen Salon führen. Grass würde zum Tee kommen, Handke seine Schreibexistenz anhand der »Geschichte eines Bleistifts« erläutern und Reich-Ranicki … aber den kannte sie damals noch nicht. Den lernte sie erst kennen, als das Fernsehen die Selbstdarsteller entdeckte.

Nun ja. Lektorin war sie geworden. Bestsellerautoren betreute sie keine. Die schrieben nicht für den Jansen-Verlag. Er war zu klein und hatte zu wenig Geld; ein Garant zwar für gute Bücher, was bedeutete, dass er sich in permanenten Liquiditätsschwierigkeiten befand. Verleger hatte sich Anna auch keine geangelt. Das lag an den Verlegern. Sie waren entweder verheiratet oder mochten keine Frauen oder sie waren zu alt. Der Rest war, wenn auch nicht immer, aber immer öfter nur noch an hartgesichtigen Girlies interessiert. Der Trend der Zeit: Es lebe das Cover, wen kümmert der Inhalt.

Anna rutschte vom Bett auf den Boden und zog ihre Beine nah an den Körper. Grauenvoll. Ihr Zimmer sah grauenvoll aus. Auf dem Bettvorleger ein Teller mit Pizzaresten, daneben ein Stapel von Büchern, die zu lesen sie nicht die geringste Lust verspürte, und das Manuskript von Sibylle Sonnenschein mit dem hinreißenden Titel: »Was erwartest du von deinem Körper?« Ewige Gesundheit und täglich einen Orgasmus, dachte Anna missmutig. Vor dem Fernseher lagen zwei DVDs: »Jenseits von Afrika« und »Die weiße Massai«. Sie hatte bis drei Uhr morgens mit Meryl Streep gelitten und geweint und war mit deren melancholisch-synchronisierter Stimme Ich hatte eine Farm in Afrika …eingeschlafen. Nur wenn sie ab und zu nachts ihre Anfälle von Romantik in einer Pizzaorgie und einem Liebesfilm ertränkte, konnte sie dem kommenden Tag mit dem nötigen Masochismus begegnen. Dann schoss die Nadel ihrer Waage in verfressene Pizzahöhe und gab treffende Kommentare ab – gefräßige Anna, böses Kind! Sogar die superschlanke Nervensäge Sibylle Sonnenschein war nach einer Leidensnacht mit Meryl besser zu ertragen. Sibylle – man duzte sich – hing der These an, dass man seinen Körper mindestens genauso gut behandeln solle wie sein Auto oder die Waschmaschine, also jährliches Check-up, Lackpflege, neue Bereifung, bessere Trommelhalterung. Die geborene Klempnerin. Ich hatte eine Farm in Afrika … Lieber Gott, betete Anna, schenk mir Günter Grass! Oder Handke und einen neuen Bleistift. Oder eine Rosamunde Pilcher, wenn’s denn sein muss. Aber keine Ratgeberautorinnen mit esoterischem Sendebewusstsein! Sie konnte das Leuchten in deren Augen nicht mehr ertragen. Und auch nicht die Tatsache, dass sie sich alle so herrlich selbst gefunden hatten und selbstherrlich über jene richteten, die angesichts der vielen täglichen Grausamkeiten Pizzen in sich hineinstopften und in Liebesfilmen badeten. Seltsam war nur, dass die Angehörigen von Selbstgefundenen so oft an der Flasche oder an der Nadel hingen – was den Schluss nahe legte, dass Selbstfindung für die Umgebung manchmal mörderischer war als Jack the Ripper für kleine englische Ladys.

Henriette brühte in der Küche Kaffee auf. Sie trug einen ihrer karierten Hosenanzüge und hatte die unvermeidliche schwarze Baskenmütze auf dem knallroten Haar. Sie war fünfundsechzig und fiel unter die Kategorie »schrille Alte«. Was an sich schon wieder antiquiert war. Jahrzehntelang gab es die guten Omis. Dann die grauen Panther. Dann die schrillen Alten. Jetzt befand man sich in einer Übergangsphase. Keiner wusste so recht, wo’s hinging. Aber da eine Umfrage bei Jugendlichen ergeben hatte, dass sie es total normal fanden, wieder unberührt in die Ehe zu gehen, befürchtete Anna, dass abermals die Zeit der gütigen Omas drohte (nicht mit Strickzeug, sondern TV-Fernbedienung in der Hand). Wenn schon Rückschritt, dann richtig.

»Wie geht es deinem Artikel?«, fragte Anna.

Henriette sah sie wütend an. »Was fällt dir zu ›Liebesspiele mal ganz anders‹ ein?«

Anna grinste und meinte, dass sie von einer interessanten Variante gelesen habe. Den Liebsten von Kopf bis Fuß einölen, ihn auf den Bauch legen und sich selbst, reibend wie ein Pavianweibchen, auf seinen festen Po … »Stimulanz, meine Liebe!«

»Krieg ich sofort wieder empörte Leserinnenbriefe von allen, die einen Mann mit Hängearsch haben.«

»Kannst es ja mal mit Leander testen.«

»Wenn ich Leander auf den Bauch lege, kommt er nicht mehr in die Rückenlage. Und außerdem …« Henriette drehte sich zornig um. »Ich bin Kolumnistin und keine Redakteurin für beschissene Sexfragen.«

»Ist denn die Redakteurin für Sexfragen auf einer Schulung?«

»Auf einem Selbstfindungskurs: ›Ich vermisse meine Unschuld‹ Haha. Und die Redaktion ›Lebensgefühl‹ ist durchwegs lesbisch, die ›Kochrezepte‹ treiben’s nur mit ihrem elektrischen Quirl, und ›Menschen heute‹ reden nicht mit normal Sterblichen, sondern führen Interviews mit Menschen von morgen.«

Anna nützte die Gelegenheit, ausgiebig über die Leserinnen der Zeitschrift »Die moderne Frau« zu lästern. Ein bisschen Mode, ein bisschen Sex, Wie verwöhne ich meinen Mann?, Schminkvorschläge und das Monatshoroskop. Die neuen Frauen! Schon Annas Mutter hatte in Mode und Schminkvorschlägen geblättert und gelernt, wie man es dem Mann recht macht.

»Ist’s in deiner Branche besser?«, fragte Henriette.

»Bei mir wimmelt es von Traumfrauen und Superweibern und von impotenten Männern, die dringend gesucht werden. Du hast die neuen Frauen, ich die neue freche Frauenliteratur.«

»Neu? Was denn?«

»Dass deine Frauen ihre Illustrierten selbst bezahlen können und dass meine Romane nicht mehr einen Groschen, sondern neunzehn Euro neunzig kosten.«

»Und was, bitte schön, ist frech?«

»Das Vokabular. Dreimal das Wort Schwanz, ein bisschen ödes Gefummel – doch dann schlägt der rosarote Blitz ein. Alles wie gehabt. Der richtige Held trifft die richtige Heldin, sie fallen sich in die Arme, heiraten, kriegen Kinder und suchen in ›Die moderne Frau‹ ein neues Rezept für den alten Napfkuchen.«

»Und meine Frauen, liebe Anna, glauben, weil sie beim Wort Schwanz nicht in Ohnmacht fallen, seien sie schon emanzipiert.«

Anna und Henriette stießen mit ihren Kaffeetassen an und grinsten.

»Prost, Tantchen!«

»Du mich auch!«, sagte Henriette.

 

 

 


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