von Christian Pfannenschmidt


 

Liebe Lovebirds,

 

kann man seine große Liebe jemals vergessen? Der Autor und TV-Produzent Christian Pfannenschmidt beschäftigt sich in seinem Werk mit genau dieser Frage: Deutschland in den 1960er-Jahren: Isabelle Corthen verbringt eine idyllische Jugend auf dem Land. Gemeinsam mit Jon, dem Sohn des Dorflehrers, streift sie durch die Wälder und verbringt lange Sommertage am Seerosenteich. Bevor sie für ihr Studium auseinander gehen, versprechen sich beide ewige Treue. Jon setzt alles daran, so schnell wie möglich Arzt zu werden, um für seine Zukünftige sorgen zu können. Doch Isabelle gelingt selbst der Durchbruch als Modedesignerin. Und als sie Deutschland verlassen muss, um in Paris nach neuen edlen Stoffen und strahlenden Farben zu suchen, erkennen die beiden, dass eine gemeinsame Zukunft nicht so leicht wird, wie sie immer geglaubt haben …Ein berührender Roman über die Kraft der Liebe, erschienen bei unserem Pairing Partner dotbooks, und darüber, warum es sich immer lohnt, für sie zu kämpfen. Hier der Prolog zum Buch, das in seiner Fernsehverfilmung sechs Millionen Zuschauer begeisterte. Viel Freude wünscht Euch

 

Eure Julia.


 

PROLOG

 

»Wir hätten im Sommer herkommen sollen«, sagte er, hob einen Stein auf und warf ihn schwungvoll ins Wasser. Isabelle antwortete nicht, sondern blickte weiter auf den Teich, in dessen Mitte sich nun Ringe bildeten, sich vergrößerten und auflösten.

Noch schien die Sonne. Es war einer dieser kühlen, klaren Nachmittage, an denen man die Nähe des Winters spüren konnte. Die Seerosen waren verblüht. Ihre grünen, dicken Blätter breiteten sich fast über das ganze Wasser aus; sie bildeten einen Kontrast zu der Natur, die sich rings um das Ufer auf den Schlaf vorbereitete, zu dem Grau des Schilfs, den fast kahlen Zweigen der Trauerweiden, den matten, verblassenden Wiesen, den letzten rostigen Tönen der Bäume und Büsche. Aber auch die Zeit der Seerosenblätter war begrenzt, sie würden sich bald zusammenrollen und absterben. Und dann, nach dem Winter, würden aus den unterirdischen Wurzeln neue Triebe emporkriechen, aus dem Wasser hervordrängen und neue Blätter bilden, Knospen wachsen und erblühen lassen, in Weiß und Purpurrot, wie Kronen. Kronen des Lebens.

Isabelles Blick wanderte über die Landschaft, entlang den Knicks, folgte dem Lauf der Zäune bis zum Horizont. Es schmerzte sie, dies alles zu sehen, und doch, trotz aller Wehmut, oder vielleicht gerade deswegen, machte es sie glücklich. Ja, das war ihr Zuhause gewesen. Und wie lange hatte sie es nicht mehr gesehen.

Am liebsten hätte sie sich wie früher ins Gras geworfen, hätte zum Himmel geschaut und geträumt. Wolken betrachten, Figuren erkennen, Geschichten ausdenken. Wegfliegen, zurückkehren, angekommen sein. Aber sie war eine Frau von Mitte Vierzig, und neben ihr stand ein Mann, der sicher ein ganz anderes Bild von ihr hatte als das eines verletzlichen Mädchens in trauriger Stimmung.

»Wollen wir noch ein Stück gehen?« fragte er.

Isabelle sah ihn an. Er lächelte.

»Wollen wir?« fragte er noch einmal. »Oder soll ich Sie zurückfahren?«

Sie schüttelte den Kopf. Er verstand nicht, was sie meinte, sah sie unsicher an. Isabelle mußte lachen. Diese Art von Mißverständnissen war ihr auch noch vertraut. Dabei war sie immer die Unklare gewesen, Jon der Präzise. Sie dachte an die Umwege ihres Lebens. Wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn sie im richtigen Moment das Richtige gesagt hätte? Wäre ihr vielleicht all das Unglück und das Leid erspart geblieben, wenn sie sich selber bewußtgemacht hätte, rechtzeitig, was sie wirklich wollte? Wenn sie zu Jon gegangen wäre, früh genug, und ihm ihre Liebe gestanden hätte? Ach, zu spät, zu spät. Vergangen. Nie vergessen.

Sie ging auf ihren Begleiter zu, diesen jungen Mann, der da fragend vor ihr stand, die Hände in die Taschen seiner Kordhose gesteckt, den Kragen der Wildlederjacke hochgestellt, als brauchte er Schutz vor der Kälte des Nordens und des Daseins. »Natürlich will ich noch nicht zurück«, sagte sie. »Wir sind ja gerade erst angekommen!«

»Es sollte ja auch nur ein …«, er suchte nach dem richtigen Wort, »ein erster Eindruck sein. Wir können doch jederzeit wiederkommen. Jetzt, wo Sie …« Er brach ab und schien mit einem langen Blick Eindrücke der Umgebung aufzusammeln. Täuschte sie sich, oder war er ein wenig rot geworden? Um ihm über die Verlegenheit hinwegzuhelfen, hakte sie sich kurzerhand bei ihm unter und zog ihn mit sich. »Wir gehen ein Stück den Hügel hoch. Dahinter ist ein kleiner Eichenwald. Den will ich mir auch ansehen. Früher jedenfalls«, korrigierte sie sich, »war dort ein Eichenwald.«

Eine Windbö fegte über sie hinweg. Das Laub am Ufer des Sees wirbelte hoch. Die Blätter tanzten. Das Wasser kräuselte sich, als wollte es sich über das ungleiche Paar mokieren, das dort auf den Feldsteinen stand.

»Kommen Sie, junger Mann!«

Sie sprangen von den Steinen hinunter, überquerten die Wiese und gingen den Feldweg langsam nebeneinanderher, schweigend. Im Wipfel eines Baumes krächzte eine Krähe. Gestört von den Spaziergängern schwang sie sich auf, erst flatternd, dann gemächlich fortfliegend, wie ein schwarzes, zerrissenes Tuch im Wind.

»Vielleicht können wir auch in Luisendorf übernachten«, meinte Isabelle nach einer Weile. »Gibt es eigentlich Schmidts Gasthof noch?«

»Keine Ahnung!« Er zuckte mit den Schultern. »Ich war ja selber Ewigkeiten nicht mehr hier.«

»Warum duzen wir uns eigentlich nicht?« Sie schaute ihn kurz von der Seite an. Das gleiche Profil, der schöne Kopf mit dem dichten, schwarzen Haar, das Kinn mit dem Grübchen. »Ich bin die Ältere. Ich darf das anbieten.«

Sie blieb stehen und er auch, und beide spürten auf einmal, daß dies mehr war als ein Spaziergang und eine Erinnerung an längst vergangene Tage. Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Isabelle«, sagte sie fast ein wenig steif, »eigentlich Belle seit Jahrzehnten … Jahrhunderten.«

Sie lachten. Er ergriff dabei wie selbstverständlich ihre Hand. »Aber du kannst auch Isa sagen.«

»Klingt kompliziert – Isabelle.« Er küßte sie flüchtig auf die Wange.

Plötzlich wurde ihr bewußt, was diese Rückkehr an den Seerosenteich, nach Luisendorf, dem Platz ihrer Kindheit, für sie bedeutete. Ihr wurde klar, was dieser Mann, dessen Lippen ihre Haut zart berührten, für sie getan hatte. Ins Leben hatte er sie zurückgeführt. Von einem Punkt aus, an dem sie geglaubt hatte, es gäbe kein Morgen mehr für sie, kein Hoffen, kein Glück. Mut hatte er ihr gemacht, sie überredet, überzeugt, mitgenommen, mitgerissen, hierhergebracht. Nach Hause. Zurück zu den Wurzeln.

Isabelle ließ seine Hand los. »Ich bin sehr glücklich, daß ich hier bin.«

»Das ist gut«, entgegnete er leise. »Das ist gut.«

Sie sprachen nicht mehr, gingen weiter. Nachdem sie die Anhöhe erklommen hatten, tauchte vor ihnen das Eichenwäldchen auf, feuerrot im Licht der Sonne, wie entflammt. Es war alles wie früher. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Vielleicht sieht so die Zukunft aus, dachte Isabelle. Vielleicht kann doch noch alles gut werden.

Sie ließen den Seerosenteich hinter sich und gingen dem glühenden Himmel entgegen.

 

 

 


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