Liebe Lovebirds,

 

warum meldet er sich nicht? Das ist für viele Frauen die Gretchenfrage. Gestern wollte ich ins Bett gehen, doch eine verzweifelte SMS meiner Freundin hielt mich davon ab. Statt Nachtruhe musste ich eine Stunde lang virtuell Händchen halten, trösten, Mut zusprechen, allem voran beruhigen. Es scheint immer wieder das Gleiche zu sein: Zwei Menschen treffen sich zu einem Date – doch empfinden es völlig anders. Meine Freundin meinte, sie hätten sich so gut verstanden! Stundenlang geredet, es fühlte sich vertraut an – ein Versprechen lag in der Luft: Das Versprechen nach einer Fortsetzung, dem Beginn einer Liebesgeschichte. Und dann – nichts. Kein Zeichen, keine Nachfrage, einfach nur das bloße Verschwinden ins digitale Nichts. Das Date ist drei Tage her. Und nach dieser magischen Zeitspanne ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen weg. Meine Freundin tut mir leid. Sie ist nicht alleine.

Es passiert so oft, so vielen, immer wieder. Und man kann nichts dagegen tun. Was, wenn du ihm schreibst?, fragte ich sie. Zerknirscht gab sie zu, das hätte sie schon. Sie kann es nicht noch einmal tun, ohne ihren Stolz zu verlieren. Sie muss sich eingestehen, dass von seiner Seite aus kein Interesse besteht. Das schmerzt, ist eine Kränkung. Ich habe sie schon öfter in diesem Zustand erlebt: Das Warten auf eine Nachricht kann einen schier in den Wahnsinn treiben. Sie meinte, sie könne sich nicht konzentrieren, starre nur „wie eine Irre“ aufs Handy. Lenk dich ab, sagte ich, doch wusste zugleich, dass dieser Tipp leichter gesagt als getan war. Ablenken womit? Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich bin ganz schlecht im Verdrängen. Ich muss ständig an die Dinge denken, die mein Herz beschweren. Meiner Freundin geht es ähnlich. Sie wurde am dritten Tag regelrecht liebeskrank: Sie könne sich nicht konzentrieren, nichts arbeiten, schrieb sie mir. Ich konnte sie gut verstehen. Ich frage mich, was genau in uns vorgeht, wenn wir in das Vakuum nach einem Date fallen. Wir befinden uns im luftleeren Raum, bekommen keine Luft, können nicht mehr klar denken. Ich glaube, es gibt kaum etwas Schlimmeres als Liebeskummer. Er ist schlichtweg nicht auszuhalten.

Ich muss dann immer an Anna Karenina denken, Tolstois grandiose Heldin, die verheiratet ist, sich aber Hals über Kopf in eine außereheliche Affäre stürzt – und daran zugrunde geht. Anna liebt ihren Grafen Alexej so sehr, dass sie schlichtweg durchdreht. Sie wird eifersüchtig, krank, gerät in einen wahnhaften Zustand – und wisst Ihr was? Ich kann sie verstehen. Könnt Ihr das auch? Meine Freundin war gestern ein wenig wie Anna. Sind wir das nicht alle ab und zu? Dann, wenn die Stunden des Wartens zur Qual werden. Dann, wenn nichts unseren inneren Leidensdruck zu lindern vermag.

Ich habe meiner Freundin dennoch geraten, cool zu bleiben. Ja, buchstäblich die erhitzten Emotionen runterzukühlen. Es zumindest zu versuchen. Denn ich glaube, dass wir unseren Emotionen nicht so ausgeliefert sind, wie wir manchmal glauben. Um sich verlieben zu können, muss man innerlich bereit sein. Sich öffnen. Ob man sich öffnen möchte oder nicht, das kann man wenigstens teilweise kontrollieren.

Wenn ich versuche, die Kontrolle über meine eigenen Gefühle zu behalten, hilft mir der Gedanke „ich lasse los“. Ich sage ihn mir immer wieder innerlich vor, bei jedem Ausatmen. Denn ich weiß, dass das, was ich loslasse, zu mir zurückkommt, wenn es so sein soll.

 

Eure Julia        

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