Ich habe mich verliebt in einen Mann. Jedoch er wollte nur eine kurze Liebesbeziehung. Ich komme von ihm aber nicht weg. Jeden Tag denke ich an ihn. Obwohl ich weiß: es ist halt so wie es ist. Ich fühle mich wie im Gefängnis. Das dauert schon drei Jahre. Obwohl ich liebevolle Menschen um mich habe, bin ich unglücklich. Weil meine Seele immer bei ihm ist …

Wie komme ich geistig weg von ihm …?

 

Marzena

 

Liebe Marzena, was Du beschreibst ist ein Klassiker: Es gab eine kurze Phase intensiver Liebesbegegnung bei Euch – so interpretiere ich Deinen Terminus der von ihm so festgelegten „kurzen Liebesbeziehung“. Wenn dann schon in der Anfangs-Phase aufschäumenden Verliebtseins ein plötzlicher Abbruch kommt, und Du allein damit bleibst, tut das schrecklich weh, was erst einmal unausweichlich ist! Und man bekommt es auch nur schwer wieder aus dem Kopf, da es ihn völlig verunsichert, weil der Verstand es begreifen möchte, die Gedanken dabei hin und her laufen, wie ein gefangener Panter – zumal, wenn dadurch auch noch das Thema Selbstwert stark tangiert wird. Wärst Du meine Klientin, könnte ich detailliert nachfragen, auch, ob Ihr noch Kontakt habt und Euch darüber austauschen könnt, oder Du seit Langem schon allein bist in dieser intensiven Gefühlsblase sich weiter hochschaukelnder Energie.

 

Dennoch gibt es einiges, das sich auch allgemein dazu anmerken lässt:

Besonders herausfordernd an so einer Situation ist, dass der Eros eine höchst schöpferische Urkraft darstellt, und ein Mensch, in den wir uns leidenschaftlich verlieben, der dann plötzlich abtaucht, sich als machtvolle Projektionsfläche all unsere Liebes-Sehnsüchte und innerseelischen Idealbilder eines Liebes-Gegenübers darbietet. Je mehr wir so jemanden dann idealisieren, desto schwieriger wird es, sich zu lösen.

Die meisten Beziehungen beginnen, indem wir uns verlieben, günstigstenfalls beiderseits, und uns gemeinsam auf diese leidenschaftliche Erkundungsreise zueinander begeben, während der wir unser Gegenüber als ein aufregendes neues Universum empfinden. Mit zunehmender Vertrautheit und Bindung weicht der Rausch des Verliebtseins jedoch entweder einem echten Liebesempfinden oder einer zunehmenden Ernüchterung. Oft geschieht auch beides. Denn wir hören auf, den anderen zu idealisieren und haben so die Möglichkeit, ihn mehr als reale Person zu erleben, soweit wir unsere jeweiligen Projektionen auf den Partner als solche durchschauen können. Dabei findet eine Entzauberung statt, während wir aber auch die wahre Schönheit dieses Gegenübers erkennen lernen. Die Beziehung erdet sich.

Was Du jetzt tun kannst? Wichtig ist zu verstehen, dass Gedanken unmittelbarer Ausdruck unserer Schöpferkraft sind. Je mehr wir unser ungestilltes Verlangen mit Gedanken der Sehnsucht an dieses abwesende Liebesgegenüber nähren, das längst zu einem inneren Phantom geworden ist, desto mehr nähren wir sowohl dieses Phantom als auch den Sehnsuchtsschmerz, der unser Inneres dadurch immer noch weiter ausfüllt und alles Andere daraus verdrängt. Es würde sehr helfen, diesen zerstörerischen Kreislauf zu durchbrechen, indem Du gedanklich aufhörst, täglich Öl in das Feuer dieser Leidenschaft zu gießen.

Der zweite Punk wäre, zu erkennen, warum Du Dich so sehr in ihm verlierst: Das kann nur geschehen, wenn Du zu wenig bei Dir selbst bist. Würden wir Selbstliebe kultivieren, fühlten wir uns – durch alle Gefühlslagen hindurch – wohl mit uns, und daher auch in uns. Aus dieser Selbst-Verbundenheit heraus befänden wir uns in stets einer konstruktiven Beziehung mit unserem Inneren. Und genau das bildet die entscheidende Grundlage dafür, dass kein anderes Wesen in uns derart überhand nehmen, und die eigene Seele aus unserem Inneren so sehr verdrängen kann. Es ist ganz natürlich, Liebesschmerz zu empfinden und auch stark zu trauern für eine gewisse Zeit, wenn ein ersehnter Mensch vor unsere Beziehungseinladung wegrennt. Aber definitiv nicht über drei Jahre hinweg! Dann ist längst aus diesem Schmerz eine destruktive Parallel-Identität in unserem Inneren erwachsen, wo wir uns nur noch über den Schmerz spüren.

Dass Du all Deine Gefühle weiterhin auf diese Person richtest, könnte aber auch darauf hindeuten, dass Du selbst im tiefsten Inneren nicht bereit bist, eine Paarbeziehung einzugehen.

Um bei jener Hypothese zu bleiben: Es gibt zwei Grund-Charaktere von Beziehungs-Vermeidern, die aktiven, die bei einem konkreten Beziehungsangebot eher zurückschrecken, entweder weil sie ihren Autonomiepol bedroht fühlen oder aber, weil sie Angst haben, sich zu öffnen, verletzbar zu werden, letztlich auch aus einer Furcht vor Zurückweisung, und dann selbst verlassen zu werden.

Dann sind da noch die passiven Beziehungsflüchter als ihre komplementären Mitspieler (die sich wiederum in die selben Unter-Typen aufteilen können). Letztere richten ihr ganzes Bindungsverlangen immer wieder auf Personen, die unerreichbar sind, weil sich nicht verbindlich einlassen wollen, sich immer wieder entziehen. Solchen Menschen kann man sich als passiver Beziehungsflüchter gefahrlos hingeben, und darin alle Leidenschaft hineinpacken, ohne befürchten zu müssen, dass von deren Seite eine reale Beziehungs-Bereitschaft droht. Dieses geballte unerfüllte Verlangen tut zwar entsetzlich weh, und das oft sogar noch chronisch wie bei Dir. Der Vorteil daran ist aber, wir werden nicht mit unserer eigenen Beziehungs-Unsicherheit und -Bindungs-Angst dabei konfrontiert, können unsere ganze Leidenschaft und Bedürftigkeit in dieser Form gefahrlos ausleben.

Was ich also raten würde? Unterbreche erst einmal diese destruktiven Gedankenkreise, indem Du Dich übst, den Fokus auf Dich zu richten. Gehe in Fühlung und Beziehung mit Dir, lerne Dich kennen und lieben, indem Du herausfindest, was Dir wirklich wichtig ist im Leben; und erkenne Deine Werte. Treffe für beides täglich eine Wahl. Wenn Du Dich wirklich für Dich selbst zu entscheiden übst, wirst Du mit jedem Tag mutiger und beziehungsfähiger. Denn jedes äußere Beziehungsgeschehen, bindet sich zurück an einen soliden Selbstbezug. Kommen wir in sichereres Fahrwasser mit uns, werden wir das auch immer wieder in Beziehungen mit anderen erleben.