100×LIEBE

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Liebe Lovebirds,

Daniela Otto ist ein besonderer Mensch. Sie denkt und schreibt ungewöhnlich, jenseits der gängigen Muster. Ich habe mich mit ihr getroffen, um mich mit ihr über die Liebe zu unterhalten, zumal sie einen tollen Ansatz gefunden hat, das, was uns auf der Kinoleinwand oder im TV täglich begegnet, zu dechiffrieren. Den Inhalt unseres Gesprächs könnt Ihr hier lesen. Ich wünsche Euch gute Unterhaltung!

Liebe ist Frieden als Freiheit.

Eurer Hans Christian Meiser.   


         

 

Daniela, Du hast viele große Filme in Bezug auf die gesellschaftlichen Entwicklungen von Beziehungen, Partnerschaft und Sexualität untersucht und darüber hast Du ein spannendes Buch geschrieben („Lieben, Leiden und Begehren – Hollywoods geheime Liebesbotschaften entschlüsselt“). Erkläre uns das doch bitte einmal an einem Beispiel, etwa anhand eines Films, den jeder kennt: Avatar.

Avatar, einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, zeigt uns wunderbar, dass Filme mehr als nur Unterhaltung sind. Filme können Spiegel unserer Gesellschaft sein – ein Film wie Avatar kann nur dann so erfolgreich sein, wenn er unsere innersten Sehnsüchte anspricht. Und hier ist unsere Sehnsucht ganz klar: Es ist unser Wunsch nach totaler Verbundenheit. Danach, den anderen nicht nur irgendwie zu verstehen, sondern tatsächlich bis ins Innerste zu spüren.

 

Ein anderes Beispiel?

Gerne. Denken wir in Serien – denn das Anschauen von Serien ist das neue Lesen. Die Lieblingsserie sagt viel über das eigene Liebeskonzept aus. Man kann sich also fragen, welcher Serien-, ergo Liebestyp man ist: Ist man Typ Grey’s Anatomy, braucht man vermutlich viel Drama, ist man Typ Bridgerton, träumt man womöglich davon, selbst den Bad Boy in ein konservatives Ehekonzept drängen zu können. Wer mit Mr. President und der First Lady aus House of Cards mitfiebern konnte, der mag Gefallen an Beziehungen finden, die auf Macht ausgelegt sind. Wir dürfen nicht vergessen: Auch wir schreiben mit unseren Beziehungen unsere eigenen Liebesgeschichten im echten Leben – und da lassen wir uns von medialen Geschichten sehr stark inspirieren.

 

Und lass uns nun über die Liebe sprechen, von der jeder sein eigenes Bild hat. Wie sehr sind wir in den Begriffen z.B. von Männlichkeit und Weiblichkeit seit Jahrtausenden gefangen und wie können wir uns davon lösen?

Liebe ist natürlich auch stark Diskurssache – das heißt, in der Art und Weise, wie wir in unserer Gesellschaft über Liebe sprechen, entsteht auch unser Konzept davon. Auch das Kunst- und Mediensystem schreibt Liebesgeschichten, die unser Verständnis der Geschlechterrollen und der Paarbeziehungen maßgeblich beeinflusst. Tja, und wie löst man sich davon? Indem man dieses System durchschaut und sich bewusst und autonom überlegt: Welches Konzept von Liebe will ich leben? Man kann die Dinge immer anders machen, auch als Einzelner, man muss es nur wollen. Man kann immer als Paar seine Liebe reflektieren und sich gemeinsam überlegen, wie man Liebe verwirklicht.

 

Ich bin mit den verschiedensten gesellschaftlichen Strömungen groß geworden. Zuerst war da die sexuelle Revolution der 68er, dann kam die Emanzipation, dann – aufgrund von AIDS – die neue Innerlichkeit, und heute scheint mir die Liebe fast einen Rückschritt in die 50er Jahre zu machen. Wie kann das, was wir uns alle wünschen, derart entgegengesetzten „Modeerscheinungen“ unterworfen sein? Oder heißt das, dass Liebe eben immer nur ein Ausdruck der jeweiligen Zeit ist, in der sie stattfindet?

Liebe unterliegt tatsächlich dem Zeitgeist. Zum Beispiel ist es kein Wunder, dass Twilight nach 9/11 so erfolgreich war. Twilight erzählt ja eine konservative Liebesgeschichte: zur körperlichen Zärtlichkeit kommt es erst nach der Eheschließung. Das Konservative verspricht Halt und es ist natürlich eine Reaktion auf eine Welt, die durchgehend von Unsicherheit geprägt ist. Wie wir lieben sagt viel über den Zustand unserer Seele aus. Eine verängstigte Seele kann nicht befreit lieben.

 

Frau und Mann haben offenbar seit der Vertreibung aus dem Paradies Probleme miteinander. Beide Geschlechter sind oft innerer Not und Feindseligkeit unterworfen. Eine „reine“ Liebe scheint es nicht zu geben. Oder siehst Du irgendwo eine Dimension, die jenseits der Zwänge Hoffnung schöpfen lässt?

Auf jeden Fall – da bin und bleibe ich Romantikerin. Liebe hat die Macht, uns von Zwängen zu befreien – weil wir, wenn wir verliebt sind, die abenteuerlichsten Sachen wagen. Sich endlich gegen die Eltern auflehnen? Mit den entsprechenden Hormonen im Blut geht das plötzlich. Liebe macht uns zu Rebellen. Die Liebe ist die magische Dimension in dieser Welt, diesem Universum. Doch, die Liebe an sich ist wunderbar. Wunderbar und frei.

 

Wie würdest Du „Liebe“ definieren?

Als Verwurzelung im anderen.

 

Lass uns über die Spiritualität innerhalb der Liebe sprechen. Wie kann eine solche verwirklicht werden, jenseits von Tantra?

Liebe ist hochgradig religiös. Der fundamentale Zusammenhang wird alleine im Satz „Gott ist Liebe“ ersichtlich. Liebe ist allem voran eine geistige Verbindung und sie ist, wenn sie eine Absolutheit besitzt, auch heilig. Ich denke, die Schönheit dieser Schöpfung, ja Gottes Größe kann man nur fühlen, wenn man liebt.

 

Politik und Religion haben seit jeher versucht, das Thema „Liebe“ zu reglementieren. Weshalb? Um Macht über die Menschen auszuüben – weil man erkannt hat, dass ein Mensch, der liebt, wie ihn die Natur zu lieben treibt, unberechenbar und nicht steuerbar ist?

Liebende Menschen sind gefährlich. Sie sind unberechenbar. Das ist grandios, das sind die Geschichten, die uns faszinieren. Aber was kann ein politisches System mit unberechenbaren Individuen anfangen?

 

Als ich 18 Jahre alt war, habe ich den Schriftsteller-Emigranten Otto Mainzer kennengelernt, der schon in den 30er Jahre des letzten Jahrhunderts die Umstände anprangerte, die seiner Ansicht nach das Unglück des Menschen ausmachten. Er nannte dies zusammengefasst „die sexuelle Zwangswirtschaft“, die er als die einzige Erbsünde der Menschheit bezeichnete. Damit ist vor allem die unheilvolle Verquickung wirtschaftlicher Interessen mit sexuellen Bedürfnissen gemeint. Die Ehe ist nur eine Ausdrucksform davon. Siehst auch Du, als sehr viel später Geborene, die Ehe als Zwangsform an?

Ich bin ein Fan der Idee, die hinter der Ehe steht: Das Bekenntnis zu einem Menschen, jemanden auf immer und ewig zu lieben. Wer hat heute noch Mut zu diesem Ja? Natürlich und unbedingt sollte dieses Ja selbstbestimmt und frei sein, nicht von wirtschaftlicher Abhängigkeit motiviert. Ich glaube, dass wir uns heute aber eher anderweitig verlieren, im ewigen Zaudern und Zögern, in den unendlichen Möglichkeiten der virtuellen Partnerwahl. Es gibt nicht grundlos immer mehr Singles, die sich nach einer erfüllenden Partnerschaft sehnen.

 

Warum heiraten so viele Menschen dennoch und nennen den Tag der Hochzeit „den schönsten Tag des Lebens?“

Da komme ich nochmals auf die Macht der Liebesgeschichten zurück. Jedes prominente Märchen endet mit der Hochzeit. Sie ist das Urmotiv schlechthin, ein Narrativ, das überall aufgegriffen wird, bei Grimm, von Disney, in Hollywood, aber auch in der Werbung, sei es von Juwelieren, die den perfekten Verlobungsring verkaufen, von Schuhdesignern, die den perfekten Hochzeitsschuh verkaufen usw. Der Traum von der perfekten Hochzeit ist tief in uns verankert.

 

Lass uns einmal vom Gegenteil der Liebe sprechen, wenn es gewollt oder ungewollt wieder auseinandergeht. Natürlich ist es eine Errungenschaft der Moderne, dass Menschen, die letztlich eben doch nicht zueinander passen, sich heute ohne allzu großen Schaden wieder trennen können. Aber was ist, wenn diese Trennung nicht freiwillig geschieht, sondern z.B. durch Tod? Sieht man dann nicht gerade die Stärke und Kraft der Liebe?

Das ist das Dilemma der Liebe: Sie wird immer weh tun. Spätestens wenn einer stirbt. Ich glaube aber, der Tod verleiht der Liebe tatsächlich eine unendliche Dimension – denn wenn wir weiterlieben, auch wenn der andere nicht mehr da ist, ja nicht mehr lebt, ist dieses Gefühl ja trotzdem da, real. Ist das nicht erstaunlich? Es gibt die unendliche Liebe, daran glaube ich.

 

Du hast im Falle von Trennung in einem Deiner Essays vorgeschlagen, nicht das Wort “Liebeskummer”, sondern das altertümliche “Herzeleid” zu verwenden. Warum ist es gerade das Herz, das leidet?

Weil das Herz tatsächlich eine Art Eigenleben entwickelt – es erträgt diese Qualen der Trennung, es schlägt trotzdem als Organ tapfer weiter. Manchmal frage ich mich, wie das ein Herz überhaupt ertragen kann. Daher finde ich, dass der Begriff „Herzeleid“ mehr Achtung in sich trägt als die Bezeichnung „Liebeskummer“. Wir dürfen uns vor der Leistung unserer Herzen verneigen.

 

In einem anderen Essay sprichst Du vom „Ring, der uns knechtet“. Kannst Du Dir keine Ehe ohne diese Knechtschaft vorstellen oder ist für Dich eheliche Liebe ein Widerspruch im Adjektiv?

Alfred Hitchcock hat einmal so schön gesagt, dass Eheringe die kleinsten Handschellen der Welt sind. Super, oder? Ich glaube, dass jede Ehe einen Hauch der Knechtschaft hat. Und ich meine das jetzt ganz wertneutral: Kann ja auch reizvoll sein.

 

Noch einmal zu Deiner Kunst der Dechiffrierung von Filmbotschaften: Ist es denn so, dass diese Botschaften von den Filmautoren bewusst untergebracht werden oder geschieht dies eher unbewusst, eben weil die gesellschaftlichen Verhältnisse gerade so sind, wie sie eben sind?

Prinzipiell geschieht im Film nichts zufällig. Trotzdem ist es so, dass ich aus einer akademischen Schule komme, in der es erstmal egal ist, was der Künstler sich denkt. Das ist wie mit dem Lebenssinn: Den Lebenssinn an sich gibt es nicht, doch ich als Subjekt kann eine sinnstiftende Instanz sein und mir den individuellen Sinn meines Lebens selbst geben. Was ich sehe, ist viel wichtiger als das, was jemand anders wollte, das ich sehe. Da darf man schön egoistisch sein. Und was ich erkenne, ist natürlich unbewusst beeinflusst, ganz klar.

 

Gibt es in Deiner Vorstellung noch den Traummann, den Ritter und weißer Rüstung, der kommt und Dich erlöst – was ja auch ein Urbild ist, das die Trennung von den Eltern beinhaltet, auf dass man selbst ein Elternteil werden kann – oder muss sich heute jeder selbst erlösen?

In der Liebe, die so viel in uns auslösen kann, steckt zweifelsohne rettende Kraft. So kann jemand ein entscheidender Impuls zur Selbsterlösung sein. Heilung kommt ja immer von innen, aus einem selbst heraus.

 

Wenn man die Liebe mit einer Sprache vergleichen würde, die man erlernen möchte, an wen soll man sich dann wenden, zumal die großen Institutionen, z.B. Kirche und Politik hier durchaus zu versagen scheinen?

Das ist ja das Verrückte – Liebe ist DAS Thema, um das unser Leben dreht. Aber es gibt kein Schulfach dazu, keinen Studiengang, man ist völlig auf sich selbst gestellt. Aber es gibt die Literatur. Bücher sind die wahren Lehrmeister der Liebe.

 

Kann man lieben, wie man lieben möchte, nur dort, wo die gesellschaftlichen Verhältnisse das auch zulassen? Oder umgekehrt gefragt: Wie kann ich selbst Verhältnisse schaffen, die mir ein erfülltes Liebesleben garantieren?

Ehrlichkeit – zu sich selbst und anderen gegenüber – ist eine wichtige Voraussetzung und schafft auf jeden Fall richtige Verhältnisse. Aus einer gesunden Selbstliebe heraus erwächst eine heilsame Nächstenliebe. Wer mit sich selbst nicht klarkommt, wird auch mit keinem Partner zurechtkommen.

 

Unser Leben währt heute vielleicht 80, 90 oder auch 100 Jahre. Die meiste Zeit verbringen wir aber nicht mit lieben, sondern mit Arbeit, durch die hoffen, dass wir uns Liebe leisten können. Ist da nicht etwas fürchterlich danebengegangen?

Wahre Erfüllung findet wohl nur der, der seiner Berufung folgt. Und ja, es wäre wünschenswert, würden sich mehr zur aufrichtigen Liebe berufen fühlen. Selbst für den reichsten Menschen der Welt gilt ja: Liebe ist nicht käuflich.

 

Es gibt Menschen, die halten Liebe für nichts anderes als einen biochemischen Prozess, bei dem der Körper z.B. Oxytocin und Serotonin ausschüttet; das gibt uns ein gewisses Wohlgefühl und wir halten dieses dann für Liebe. Es könnte sogar sein, dass es tatsächlich so ist. Und dennoch scheint mir, dass es irgendwie etwas geben muss, das sich nicht mehr rational erklären lassen kann, eine Schwingung, die uns zu mehr macht als wir sind. Könnte das die Liebe sein?

Unbedingt! Liebe, und das ist ja das Faszinierende, lässt sich bis heute nicht wissenschaftlich erklären. Liebe ist für mich der Beweis, dass es Magie, ja das Wunderbare gibt. Sie ist die höchste Frequenz, die göttliche Schwingung. Wir sollten die Liebe niemals zu entzaubern versuchen.

 

Wenn die Liebe also mehr aus uns zu machen vermag als wir sind, weshalb lassen wir sie dann nur so selten zu?

Aus Angst. Sich ganz auf jemanden einzulassen verlangt Mut. Absolute Liebe impliziert auch eine neue Art der Selbstbegegnung. Nicht alle halten eine solche intensive Erfahrung aus.

 

Am Ende dieses Gesprächs möchte ich Dich fragen, wie Du Dir Liebe für Dich vorstellst. Was muss sie ausmachen, was darf sie, was vermag sie, was soll sie für Dich sein?

Liebe ist für mich unantastbar. Liebe gibt mir Zugang zu etwas Höherem, Göttlichen. Liebe dringt in mein Innerstes ein und bringt das Beste in mir hervor. Begegnet man der wahren Liebe, begegnet man seiner eigenen Seele. Liebe ist wie ein unendliches Fließen und Strömen zueinander. Let it flow.

 

Mehr unter: www.danielaotto.com  

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