100×LIEBE

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Liebe Lovebirds,

vor vielen Jahren lebte ich auf der Kyklandeninsel Mykonos, die heute weltberühmt ist. Seinerzeit gab es dort ein Maskottchen, einen Pelikan mit rosa Federn, der als Baby von einem Fischer gefunden und „Petros“ getauft wurde. Petros gefiel es auf Mykonos so gut, dass er blieb und ein internationaler Star wurde. Leider legte er sich eines Abends zum Schlafen unter ein geparktes Taxi und …

Meine Zeit auf Mykonos, die alles in allem etwa vier Jahre betrug, war nicht nur von den Begegnungen mit jungen Menschen aus aller Welt geprägt, sondern auch durch ein fast tägliches Aufeinandertreffen mit Petros, der in vielen Restaurants einen extra Stuhl hatte, den er bestiegt und darauf wartete, gefüttert zu werden. Ich weiß nicht, was es war, aber irgendetwas verband mich mit diesem so ungewöhnlichen Tier. Vielleicht war es die Tatsache, dass er und ich in der Fremde lebten und dennoch willkommen waren?

Was auch immer es gewesen sein mag – als ich die Nachricht von seinem Tod erhielt, konnte ich nicht anders als ein Requiem zu verfassen, das ich später dem Bürgermeister von Mykonos überreichte. Er gab es an das Folkloremuseum (neben der weltberühmten Paraportiani-Kirche) weiter, in dem Petros einige Jahre lang ausgestopft stand, zu seinen Füßen ein Messingschild mit meinem Epitaph. Das Requiem selbst, das in Deutsch, Englisch und Griechisch verfasst ist, ließ ich auf wasserfestes Papier drucken und binden. Danach befestigte ich eine Kette an dem Buchrücken, so dass er für die Besucher des Museums auch lesbar war. Leider unterliefen den Konservatoren etliche Fehler, so dass Petros anfangs nur noch halb so groß war wie zu Lebzeiten, um schließlich noch kleiner zu werden und Gase zu entwickeln, die nicht für jede Nase geeignet waren. So beschloss man, ihn zu entsorgen. Was blieb, ist eine Akte mit allem Wichtigen, was mit ihm zusammenhängt.

Damit man nicht erst nach Mykonos reisen muss, um mein „Requiem für einen Pelikan“ zu lesen, sei es hier veröffentlicht. Es ist natürlich ein Nachruf auf ein geliebtes Wesen, aber ich denke, es weist auch weit darüber hinaus. Denn letztlich ist auch meine philosophische Erkenntnis „Liebe ist Frieden als Freiheit“ auf meine mykoniotische Zeit zurückzuführen – und somit auch auf Petros, den Pelikan.

 

P.S. Wäre es nicht schön, das Requiem würde vertont werden – am besten von einem griechischen Komponisten/einer griechischen Komponistin? Vielleicht hat einer derer, die diese Worte gerade lesen, eine persönliche Verbindung zu einem/r solchen (der möglicherweise ebenso einen Bezug zu Petros hat?). Dann bitte ich um Nachricht unter: info@juliaandthelovebirds.com. In meiner Vision wird das Requiem an einem Sommerabend im antiken Theater von Delos aufgeführt, dort, wo das göttliche Geschwisterpaar Apollon und Artemis geboren wurden.

 

Euer Hans Christian.


 

Requiem für einen Pelikan

 

Nur über Deine Insel führen
alle Wege zu Apoll.
Nur über Deine Insel die
Wege zur Geburt des Lichts.
Das wusstest Du: Deshalb war
Dein Paradies nie ganz verloren.
Du hast es täglich
Nur neu erbaut, stündlich neu
ersehnt, erschaut.
Die Freiheit war Dein Schicksal,
Deine Kunst, Dein Mandelzweig, Dein Nachtgebet.

Trotz zweier Flügel, die nicht
flogen, konntest Du die Erde stets
bestaunen. Diese Insel war Dein
Haus; wo sonst noch hättest Du die
ganze Welt vor Deiner Tür gefunden.
An uns nun ist es, mit einem Wagen,
dem ein Rad fehlt, zu fahren.
Du warst dies Rad, die Achse, die Speichen,
die Nabe.
Du gabst uns den silbernen Mond,
lehrtest uns Ebbe und Flut, ließt uns den Hibiscus atmen.

Dasselbe Alter hattest Du wie der Messias,
als wir Dich verließen. Die Musik,
die Du uns brachtest, und die wir nie
alleine ganz verstehen, ist nun für uns
wie eine schöne Fremde. Eine Ahnung, die
auf uns zugeht, Ozeane in den Augen.
Denn unterwegs zu sein heißt anzukommen,
Angekommensein heißt zu
beginnen.
Wer warst Du, Pelikan? Ein Säulenheiliger,
ein Mönch in rosa Kutte
oder der Menschheit letzte Idee?

Wir werden uns jetzt hinwegtäuschen
über unser Einsamsein – mit Wassern
der Hoffnung ein Grabmal
Dir errichtend/ ein Missverständnis
wie das eigene Leid.
Apollon allein weiß, dass in Dir
die Ewigkeit besteht, dass Du die
Brust Dir aufreißt, um die Kinder
zu stillen mit dem eigenen Blut.
Sag mir, Petros, wie das Leben geht.
Wie die Gegenwart entsteht,
wo das Haus des Brotes singt.

Wenn Du am Hafen saßt, warst Du
Dein eigenes Über-Ich – ein
Mann, der nur sich selbst gehört.
Aber wenn Du dann vom weißen Wasser
der Ägäis trankst, da wusste jeder, dass
Du nicht nur an Dich selber glaubst.
Denn Du hast uns vorgelebt, wie
Einheit und Verschiedenheit
verschmelzen.
Jetzt bist Du eine alte Bibliothek. Voll
mit Seekarten und schweren Folianten.
Ein Atlas ferner Menschenziele.

Die Kraft der Sonne war Dein eigen
Atem, Dein Klang. Deine Melodie.
In der Unendlichkeit der Strahlen
hast Du Dich stets verloren und
gefunden. Immer warst Du einfallsreicher
als wir Menschen.
Schöner als ein Stern der Nacht.
Älter als der älteste Kalender.
Du warst wie eine Wiese,
die vierfach in der Blüte steht.
Wohin jetzt Deine Früchte?
Wohin mit Deinem Feldertrag?

Bei uns hier bist Du sicher.
Niemand stört Dich mehr, niemand
lauert am Kai Dir auf.
Petros, Pelikan, läuft eine
Träne an Deinem Schnabel
entlang? Vermißt Du die Küsten
des Lichts? Jetzt, wo Du am
Urquell aller Dinge bist?

Oder lehrst Du uns das Kreuz verstehen?

Petros, Pelikan, ich bin in Dich vertieft.

 


 

 

Requiem for a Pelikan

All the ways towards Apollo are
leading cross your island. All the
wavs towards the birth of light.
Of that you’ve been aware and
therefore your paradise was never lost.
You’ve rebuilt it daily anew,
you’ve longed for it by every hour
and you’ve seen it unto the depth of
your inner self.

Freedom was your fortune, your art, your
almond-branch, your evening-prayer.

Teeth of two wings which did not fly, you could
constantly admire the earth, the land, the sea.
This island was your hometown; wherelse you’ve
could have found the whole world at your
doorstep?
It’s up to us now to drive a car which misses one wheel.
You’ve been this wheel, the axis, the spokes, the hub.
You’ve offered us the silver-shadowed moon,
taught us the tides, let us breath hibiscus’ blooms.

The same age you had than the Messiah when we left you.
The music you brought to us (and which we’ll never
understand completely – for being alone) seemed
like the beauty of a girl from far away. A presentiment
which walks towards us – the eyes filled up with oceans.
‘Cause being on the way means
to reach the goal, reaching the goal means to
commence.
Who have you been, pelican? A stylite, a monk
wrapped in roseate cowls or mankinds last idea?

Now we will obscure the fact of our loneliness –
raising a tomb for you with the waters of hope /
a misunderstanding as our own passion-way.
Only Apollo knows that eternity subsists in yourself,
that you chap yourself the breast to nurse
your children with the blood of your own.

Tell us, Petros, how life’s going. In what way
presence is developing and where the house of
bread sings its songs to us.
When you were sitting at the sea-wall, you’ve been
your own greater-self, a man who only is belonging to
himself.

But in the moments you drank from the white waters of
Aegian sea, everybody knew, that you don’t give credence
only in yourself. ‘Cause you set the example how unity and
difference are melting unto each other. Now you are an old
library. Full with sea-charts and heavy folio-volumes.
An atlas of mankind’s far aims.

Sun’s force was your own breath, your soul, your
melody. You’ve lost yourself in rays’ eternity and
found yourself again in there. All the times
you’ve been more inventive than the human
beings.
More pretty than the shining stars of night.
Elder than the eldest time-calender.
You‘ve been a willow which is fourfold in full bloom.
Where to with your ripe fruits?
Where to your field-produces now?

Here – within us – you are secure. No one bothers you
anymore, no one lurks for you at the wall of the sea.
Petras, pelican, does a tear roll down along your peak?
Are you missing the golden coasts of light?
Even now, where you are at the primary
source of all the things?
Or do you teach us to understand the crucifix?

Petros, pelican, I become engrossed in you.

 



 

Gedenke Petros, des Pelikans
Der Freundschaft schuf unter den Menschen der Welt
Was ihm gelang, gelingt auch Dir
Auf diesem Felsen errichte Dein Zelt

……….

Remember Petros the Pelican
Who loved you as a real friend
What he concidered – you are convinced to do
On this rocket build up your tent

……….


P.S.

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