100×LIEBE

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Ein unverstellter Einblick in die Welt von Bhagwan (Osho)

 

Liebe Lovebirds,

viele von Euch können sich gewiss noch an Bhagwan erinnern, den indischen Guru, der ab Ende der 1970er bis über die 1980er Jahre hinaus weltweite Bekannheit genoss. Er, der eigentlich Philosophieprofessor war, gründete in Poona (Indien) einen Ashram, in dem sich bald junge Menschen von überall her und meist aus „gutem Hause“ von den Zwängen der Wohlstandsgesellschaft verabschieden wollten. Gemeinsam suchte man durch Meditation und ein bedürfnisfreies Leben die Welt zu verändern und vor allem durch Sex zur Erleuchtung zu gelangen. Von der bürgerlichen Welt des Westens wurde dieser Traum von einem besseren Leben zunächst nicht ernst genommen, doch als immer mehr reiche Erben und gut ausgebildete junge Menschen ihr Heil in der Flucht nach Poona suchten (und später auf die Bhagwan-Ranch in Oregon), um dort an der Entwicklung des „New Man“ mitzuwirken, machte sie sich mit einem Mal Sorgen darüber, dass die alte (Schein)Welt nun ins Wanken geraten könnte.

 

Der Guru, die Sannyasin und die Suche nach einer besseren Welt

Auch die gutbürgerliche Schweiz wurde von dieser Aufbruchstimmung, die sich an die etwas früher erfolgte Hippie-Bewegung anlehnte, nicht verschont. So kam es, dass die Eltern der kleinen Leela, alles, was sie hatten (auch sich selbst) aufgaben, um das Erworbene hinter sich zu lassen und sich im Ashram neu zu finden. Leela selbst erlebt diese Zeit wie einen (Alb)traum – und wird – selbst noch ein Kind – zu einer Sannyasin, einer spirituellen Schülerin des alten Meisters mit dem langen weißen Bart.

Sannyasins warten, dass ihnen ihr Meister einen kurzen Blick zuwirft

 

 

Fast 40 Jahre später schildert sie in ihrer autobiographischen Erzählung „Insektenglück“, wie ein kleines Mädchen bzw. dessen Eltern das Zuhause gegen (vermeintliche) Erleuchtung tauscht. Leela Goldmund beschreibt darin die Zeit in der Züricher Kommune, im Ashram und auf der Ranch in Oregon von 1979 bis 1984. Ich muss sagen, dass ich selten ein so faszinierendes Werk über den Wunsch nach einem alternativen Leben, über die Sehnsucht nach einer besseren Welt und die Gründe für das Scheitern von beidem gelesen habe.

 

Freiheit und Abhängigkeit

Es gibt viele Bücher von Bhagwan (Osho) und seinen Schülern, viele Insiderberichte (etwa in den 1980er Jahren die Aufzeichnungen des Sternreporters Jörg Andreas Elten „Ganz entspannt im Hier und Jetz“), doch kaum ein Werk zu diesem Thema hat mich so berührt wie „Insektenglück“.

Früh übt sich, was ein Sannyassin werden möchte. Unbewscherte (?) Kindertage in der Kommune.

Das liegt vor allem daran, dass es aus der Perspektive eines kleinen Mädchens geschrieben ist, das nicht so recht versteht, was hier vor sich geht, und sich – so gut es geht – anpasst. Dabei ist das Buch nun keineswegs ein Hohelied auf die freie Liebe und die gewollte Unbürgerlichkeit, sondern es stellt auch die Schwächen des Systems bloß, jenen Dogmatismus, der sich in allem, was ein neues Leben in einer Gemeinschaft darstellt, ausbreitet. „Was mit freier Liebe, Meditation und bahnbrechenden Denkansätzen beginnt, wird mehr und mehr zu einem totalitären System“, heißt es auf der Rückseite des Buches zusammenfassend.

 

Glück in Sekten?

Für alle, die diese Zeit miterlebt oder von ihren Eltern darüber erfahren haben, ist „Insektenglück“ ein MUSS; aber auch für die, die sich generell mit Meditation, neuem Denken und alternativem Leben auseinandersetzen.

Tägliches Leben in Rajneeshpuram, Oregon

Dieses mit Kinderaugen erlebte und dennoch ohne Anklage geschriebene Werk geht unter die Haut; es führt Mechanismen vor, die immer noch wirken. Bhagwans Leben, seine „Sex-Sekte“, der Gegensatz zur „Draußen-Welt“ mahnen vor Nachahmung, auch wenn sie vermutlich für nicht wenige immer noch eine Anziehungskraft sondergleichen ausüben.

Leela Goldmund gelingt es fast spielerisch, die Faszination für jene Welt auf Kinderebene herunterzubrechen. Bei alledem bleibt sie, was die handelnden Personen betrifft, immer neutral – sie ist halt doch eine Schweizerin!  Und das ist bei diesem emotionsgeladenen Thema sicherlich gut.

„Insektenglück“ ist unbedingt lesenswert! Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung, die alsbald unter dem Titel „Insektenpech“ erscheinen wird.

 

Euer Hans Christian.

 

››› Leela Goldmund, Insektenglück, 312 Seiten, BoD, 2020, ISBN 978 3 752 62456 5
Titelfoto: Leela auf der Bhagwan-Ranch in Oregon
© alle Fotos by Leela Goldmund

 


P.S.

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