100×LIEBE

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Liebe Lovebirds,

bei Instagram stieß ich zufällt unter #miss.marlalana auf folgendes Gedicht:

 

Wenn ich gehe,

gehe ich ganz.

Nehme alles mit,

auch die Erinnerung.

Und wenn ich gehe,

dann lass mich.

Denn es hält mich nichts.

Auch nicht du.

Denn, wenn ich gehe,

dann ohne „Auf Wiedersehen“.

Du hörst nicht wieder von mir,

denn ich bin weg.

 

Mich haben diese Worte sehr bewegt, denn trotz ihrer Härte und Konsequenz sind sie enorm ehrlich. Auf der anderen Seite: Was musste geschehen sein, dass es zu dieser Einstellung kam? Man kann es sich lebhaft vorstellen.

Dann fiel mir der Refrain eines Liedes von Peter Maffay mit dem Titel „Du“ ein:

 

Und wenn ich geh,

dann geht nur ein Teil von mir

Und gehtst Du,

bleibt Deine Wärme hier.

Und wenn ich schlaf,

dann schläft nur ein Teil von mir

Und der andre träumt mit Dir.

 

Wie anders das „Gehen“ hier interpretiert wird! Der Vergleich dieser beiden poetischen Ausdrucksweisen brachte mich zum Nachdenken: Kann man jemdanden für immer verlassen? Kann man jemanden aus seinem Gedächtnis einfach so aus seinem Gedächtnis löschen? Kann man Geschehenes für immer ungeschehen machen? Man kann es höchstens verdrängen, geistig beseiteschieben, um dem Schmerz zu entkommen. Man kann das aktive Handeln, das Verlassen, dem passiven Verlassenwerden vorziehen, wodurch einem vielleich allzu großer Schmerz erspart bleibt. Doch Marla Lana möchte ja einen „Cut“, ein Nimmerwiedersehen.

 

Was tut man, wenn man einen Menschen, mit dem man vielleicht jahrelang intim war, doch von dem man sich getrennt hat, z.B. in der Öffentlichkeit wiedersieht? Wechelt man die Straßenseite und hofft, der andere möge einen nicht sehen? Und wenn es doch zu einem Aufeinandertreffen kommt – was sagt man dann? „Wie geht es Dir?“ „Gut, danke.“ „Und Dir?“ Auch gut, danke.“ „Also, tschüss dann.“

 

Vermutlich hat jeder schon einmal eine solche Situation erlebt, bei der er sich im Nachhinein über sein Verhalten gewundert hat. Und doch: Wenn einen nichts mehr verbindet außer die Erinnerung, und man sich weiterentwickelt hat, was soll man dann auch noch sagen? Lieber einige Phrasen und dann ist alles wieder vorbei als ein bemühter Smalltalk, der ebenso unergiebig ist.

 

Dennoch: War die Beziehung sehr intensiv, werden Begegnungen dieser Art schmerzhafter ausfallen als weniger starke. Und letztlich leiden immer beide unter dem Verlassenwerden. Männer betrifft dies meist stärker, weil sie das Urtraum ihrer Geburt erneut erleben, die Trennung vom gegengeschlechtlichen Teil; Frauen fällt ein Trennung mithin leichter, denn ihre Geburt war eine Trennung vom gleichgeschlichtlichen Part.

 

Hier geht es aber um die Frage: Wie damit umgehen? Meine Meinung: Immer ehrlich zu sich selbst und zum anderen sein. Kein Rosenkrieg. Lieber ein klarer Schnitt als eine unendliche Geschichte. Aber was kommt dann: Das, was die Römer bei denen, die für immer gegangen waren, einforderten:

 

„De mortibus nil nisi bene“. „Über die Toten soll man nur Gutes sagen.“ Edel wäre es, dies nach einer Trennung auch auf die Lebenenden anzuwenden. Aber auch verdammt schwierig.  Dennoch könnte man es einmal versuchen. Denn dieser Versuch befreit von der schweren Last des Trennungsgrundes und bringt uns in eine überlegene, unantastbare Position. Das mag das Geschehene nicht ungeschehen machen, aber es nimmt ihm das Grausame, auch wenn man enorm darunter gelitten hat. Und es versöhnt einen mit sich selbst, so dass man bereit für eine neue, erfreulichere Begegnung ist …

 

Eurer Hans Christian.